Es ist kaum zu glauben, wie schnell sich der Alltag in einer Kita von einem Ort des Lernens und Spielens zu einer Notlösung entwickeln kann. Einige Monate haben wir hautnah erlebt, was es bedeutet, sein Kind in ein überlastetes und unterbesetztes System zu bringen, das ihm oft nicht das bieten kann, was es für eine gesunde Entwicklung braucht.
Der Kita-Notstand ist nicht nur eine theoretische Debatte – er betrifft uns alle.
Ich wusste lange Zeit nicht, wie ich über dieses Thema schreiben sollte. Zunächst war ich natürlich auch mit den Auswirkungen beschäftigt und damit eine neue Lösung zu finden. Danach musste das Erlebte erstmal verdaut werden.
Die Herausforderungen, mit denen sich Kitas konfrontiert sehen, wirken sich unmittelbar auf die Kinder und deren Eltern aus. Noch immer frage ich mich, wie es überhaupt zu diesem Notstand kam, und was wir als Gesellschaft tun können, um ihn zu lindern? Oder besser gefragt: sind wir als Gesellschaft und vor allem auch die Politik falsch abgebogen?
Vorweg sei gesagt: Meine Erfahrungen spiegeln vielleicht nicht die Allgemeinheit wider, aber sie bieten Einblicke in ein System, das strukturelle Mängel aufweist. Die Leistungen der Erzieherinnen erhalten meinen höchsten Respekt, was ich jedoch kritisiere ich das zugrundeliegende System und die Rahmenbedingungen.
In Deutschland ist für vieles Geld da, nur für unsere Kinder nicht. Bei Ihnen wird gespart. Dabei sind und sollten Kinder unsere Zukunft sein. Eine Zukunft, die im schlimmsten Fall bereits in jungen Jahren lernt, dass sie wegorganisiert und aufbewahrt werden.
Die Realität: Kita-Notstand hautnah erlebt
Als mein Sohn letztes Jahr nach unserer Rückkehr aus Dänemark in den Kindergarten kam, freute ich mich auf eine Zeit, in der er Freundschaften knüpfen und spielerisch Neues lernen würde. Doch die Realität zeigte mir, wie tief die strukturellen Probleme im Kita-System tatsächlich sind.
Zuerst war die Suche nach einem Kita-Platz bereits eine Herausforderung. Selbst die 15 Kitas, bei denen mein Sohn bereits seit seiner Geburt auf der Warteliste stand, hatten keinen Platz. Die Suche musste somit über den Stadtteil hinaus ausgeweitet werden und wir nahmen in Kauf, dass der Weg zur Kita mit einer Fahrtzeit von 20-30 Minuten verbunden sein würde.
Konflikt statt Kooperation
Als wir endlich einen Platz gefunden hatten und starten konnten, startete die Eingewöhnung vielversprechend, doch bald bemerkte ich, dass die Kinder Konflikte fast ausschließlich körperlich austrugen.
Die „Auseinandersetzungen“ wirkten oft chaotisch und unkontrolliert, und es fehlte an einem vernünftigen Umgang damit.
Kämpfen schien bei einigen Kindern zum Hauptinteresse im sozialen Miteinander zu gehören. Und damit meine ich nicht spielerisches Kämpfen und Raufen. Bei Konflikten wurde zu Plastikschaufeln und Stöckern gegriffen und aufeinander losgegangen, bis schließich drei Erzieherinnen die zwei Kinder auseinander zerrten.
Dies blieb auch leider kein Einzelfall, wie mir Gespräche mit den Erzieherinnen bestätigen. Nur die Kitaleitung sah es wohl nicht so “streng”.
Früher hatte die Kita einmal einen sehr guten Ruf. Mittlerweile war der Alltag geprägt von Personalmangel, vielen personellen Wechseln und die Gegend schien sich immer mehr in einen Brennpunkt zu entwickeln.
Mein Sohn knüpfte erste Freundschaften, doch schnell verlor er auch wieder das Interesse, weil die Konfliktkultur so dominierte, dass er sich häufig unwohl fühlte.
Notbetreuung und ihre Folgen
Erschwerend kam hinzu, dass oft nur eine Erzieherin für 20 Kinder verantwortlich war– ein Beispiel für den aktuellen Kita-Notstand.
Diese Notbetreuung war leider auch kein Einzelfall, sondern vielmehr eine wöchentliche Realität an 1-2 Tagen in der Woche, bis eine Vertretung organisiert war. Die Belastungen in der Kita spiegelten sich im Krankenstand wieder, verständlich – wie ich finde.
Und es führte leider auch dazu, dass individuelle Bedürfnisse auf der Strecke blieben. Es bedeutete eine stressige Atmosphäre – für die Erzieherin und die Kinder – in der es schwierig war, sich sicher zu fühlen und zu entfalten.
Ich war schwer beeindruckt, dass die Erzieherin es trotz allem schaffte Themenwochen durchzuziehen und Laternen zu basteln.
Zu Urlaubszeiten wurde es dann besonders wild. Eine Vertretung wurde zu spät organisiert, in Kombination mit Krankheitsausfall kam es zu Teilschließungen und dem Zusammenlegen mehrerer Gruppen. Von einem geregelten Alltag keine Spur – und für die Kinder jedesmal eine neue Situation und neue Betreuende, auf die sie sich einstellen mussten.
Ernährung und Struktur: Ein offenes Frühstück wird zum Problem
In der Kita meines Sohnes wurde das Konzept des offenen Frühstücks eingeführt. In Gesprächen mit einigen Erziehrinnen – nicht nur in der Kita – soll es die Lösung für Personalmangel sein. Verstehen tue ich dieses Konzept bis heute nicht….
Theoretisch soll es den Kindern Freiheit und Eigenverantwortung vermitteln, doch für einige Kinder, wie auch für meinen Sohn, der Struktur und Ordnung benötigt, um sich sicher zu fühlen und auch vernünftig und ausreichend zu essen – war es schlichtweg ungeeignet.
Kinder in diesem Alter brauchen oft klare Strukturen – regelmäßige Essenszeiten, die ihrem Tagesrhythmus entsprechen und ihnen die Sicherheit geben, versorgt zu sein.
Und wie ich im meinen Umkreis hörte, ist die Problematik des “offenen Frühstücks” kein Einzelfall sondern mitterweile gelebte Praxis in so gut wie jeder Kita.
Die Suche nach Alternativen
Der Zustand wurde für uns zunehmend untragbar, sodass ich mich intensiv nach einer Alternative umsah. Gespräche mit zahlreichen Kitas offenbarten ein ähnliches Bild: Personalmangel, offenes Frühstück und eine generelle Ressourcenknappheit.
Doch schließlich fand ich eine kleine Einrichtung, geleitet von zwei engagierten Erzieherinnen, die sich trotz bürokratischer Hürden mit einer Kindertagespflege selbstständig gemacht hatten. Nach sechs Monaten in der “normalen” Kita wechselte mein Sohn also die Einrichtung.
In dieser neuen Umgebung erlebten wir einen deutlichen Unterschied: Die Gruppe umfasst nur zehn Kinder von 3-6 Jahren, was eine individuelle und bedürfnisorientierte Betreuung ermöglicht. Regelmäßige Ausflüge, klare Tagesstrukturen, feste Essenszeiten und monatlich wechselnde Schwerpunktthemen prägen den Alltag.
Vor allem wird ein respektvoller Umgang miteinander gelebt und gelehrt. Die Veränderungen waren deutlich: Mein Sohn war entspannter, offener und zeigte in kürzester Zeit positive Veränderungen in seinem Verhalten und Wohlbefinden. Es bestätigte mich in meiner Überzeugung, dass eine qualitativ hochwertige Betreuung entscheidend für die Entwicklung unserer Kinder ist.
Bittere Erkenntnis und Kritik am System
Diese Erfahrungen führen mich zu einer bitteren Erkenntnis über das deutsche Kindergartensystem. Es mangelt an einer bedürfnisorientierten Begleitung und Förderung, verschärft durch einen Fachkräftemangel, unzureichende Personalschlüssel und ständige Ausfälle.
Es ist ein System, das weder den Bedürfnissen der Kinder noch denen der Betreuenden gerecht wird. Warum ich es so sagen kann? Weil ich gesehen haben, wie es auch funktionieren kann. Nämlich mit einem höheren Betreuungsschlüssel, Rahmenbedingungen die es ermöglichen deutlich besser auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen sowie festen Strukturen und Abläufen.
Lösungsvorschläge für den Kita-Notstand
Wir brauchen dringend Lösungen, die den Kita-Notstand langfristig entschärfen und unseren Kindern eine gesunde Entwicklung ermöglichen. Hier sind einige Ansätze, die meiner Meinung nach helfen könnten:
1. Besseres Gehalt für Erzieherinnen und Erzieher
Gute Arbeit verdient gute Bezahlung! Eine angemessene Vergütung macht den Beruf attraktiver und könnte dem Personalmangel entgegenwirken. Zufriedene und wertgeschätzte Erzieherinnen und Erzieher arbeiten motivierter und sind eher bereit, langfristig in diesem Beruf zu bleiben.
2. Höherer Personalschlüssel
Mehr Erzieher oder auch Sozialpädagogische Assistenten pro Kind könnten die Betreuungsqualität erheblich verbessern. Mit einem kleineren Betreuungsschlüssel können Erzieher auf individuelle Bedürfnisse eingehen und Konflikte schneller lösen.
Kinder fühlen sich gesehen und haben jemanden, dem sie vertrauen können – und das ist für ihre emotionale Entwicklung entscheidend.
3. Drei Jahre Elterngeld für Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen
Eltern, die sich entscheiden, ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren zuhause zu betreuen, sollten dafür finanziell unterstützt werden. So könnte das Kita-System entlastet und gleichzeitig die Bindung zwischen Eltern und Kind gefördert werden.
Wer sich fragt, wie das finanziert werden sollte, der kann sich gerne einmal mit den tatsächlichen Kosten einen Krippenplatzes beschäftigen. Wie hoch die Erstanschaffung eines solchen Platzes ist und die monatliche Summe, mit der dieser gefördert wird.
Allein die monatliche Summe würde wahrscheinlich vielen Eltern die Entscheidung vereinfachen, wenn sie diese monatlich zur Verfügung hätten.
4. Kapazitätsverteilung für Ü3-Kinder
Wenn mehr Eltern ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr zuhause betreuen könnten, könnten mehr Betreuungsplätze für ältere Kinder geschaffen werden. Das würde nicht nur den Druck auf das System mindern, sondern auch kleineren Kindern mehr Aufmerksamkeit und eine bessere Betreuung ermöglichen.
Dieser Ansatz mag etwas radikal klingen, jedoch ist die Studienlage zu einer frühen Fremdbetreuung mittlerweile mehr als ausreichend, um eine bewusste Entscheidung, im Sinne der Kinder treffen zu können. Eine tolle Übersicht über Studien hierzu findest du hier und hier noch einen weiteren interessanten Artikel.
Die frühe Fremdbetruung ist unter anderem ein Punkt, den ich in Skandinavien als kritisch betrachte. Dort wird nicht ohne Grund von “Institutionskindern” gesprochen. Wenngleich berücksichtig werden sollte, dass die Pädagogik und der Betreuungsschlüssel dort ein völlig anderer ist, als bei uns in Duetschland.
Wenn ich heute nochmal etwas anders machen würde, dann dass ich meinen Sohn nicht nochmal mit 18 Monaten in eine Fremdbetreuung geben würde. Obwohl wir eine wundervolle Tagesmutter hatten. Ich selbst habe den Vergleich zwischen Tagesmutter, Krippe und Kita gewagt.
5. Gezielte Förderung kleinerer, individueller Einrichtungen
Die Unterstützung kleinerer Kitas und Einrichtungen mit flexibleren Konzepten könnte eine alternative Lösung darstellen. Diese Einrichtungen haben oft mehr Freiraum und können besser auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern eingehen.
6. Strukturelle Änderungen für mehr Sicherheit und Geborgenheit
Ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt, ist die Überarbeitung flexibler Konzepte, wie das offene Frühstück. Feste Strukturen im Tagesablauf geben vielen Kindern eine Sicherheit, die sie dringend brauchen. Besonders für kleinere Kinder ist es essenziell, dass sie wissen, wann die nächste Mahlzeit ansteht, und nicht über Stunden hinweg ohne Nahrung bleiben.
Kita-Notstand mein Fazit: Eine Frage der Prioritäten
Der Kita-Notstand ist ein ernstes Problem, das eine Lösung erfordert. Für die kindliche Entwicklung ist eine Betreuung entscheidend, die sowohl den emotionalen als auch den sozialen Bedürfnissen gerecht wird. Durch meine Erfahrungen habe ich erkannt, wie wichtig es ist, dass sich in unserem System etwas ändert.
Wir brauchen eine bedürfnisorientierte Betreuung, die Kindern eine sichere und strukturierte Umgebung bietet und sie in ihrer Entwicklung unterstützt.
Dieser Artikel soll ein Denkanstoß sein, sowohl für Eltern als auch für Entscheidungsträger. Die Verbesserung der frühkindlichen Betreuung ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit – für die Kinder von heute und die Gesellschaft von morgen.
In diesem Sinne denke ich gerne an ein Zitat, von dem ich leider nicht einmal genau weiß, von wem es stammt:
„Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie mit Kindern und alten Menschen umgegangen wird.“
Wie stehst du zu dem Thema? Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Deine Bea