Mit ist bewusst, dass Corona ein sehr polarisierendes, schwieriges Thema ist und das hierzu eigentlich alles nur falsch gemacht oder gesagt werden kann. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, ob ich darüber überhaupt schreiben möchte. Letztlich bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich einfach meine Gefühle niederschreiben möchte.
Der graue Schleier
Das Jahr 2020 habe ich in Teilen wie einen grauen Schleier empfunden, der über allen schwebte und sich nicht ablegen lies. Es war ein Gefühlskarussel zwischen „das Leben ist so wunderbar!“ und „was passiert hier um mich herum eigentlich gerade?“.
Während des ersten Lockdowns war ich einfach froh und dankbar, dass ich noch in Elternzeit war. Der kleine Emil kannte es noch nicht von Montags bis Donnerstags zur Tagesmutter zu gehen. Insofern waren die Einschränkung für uns noch nicht so gravierend. Wir hatten relativ schnell unseren Weg gefunden, damit umzugehen….
Ich habe versucht unseren Alltag weiterhin so normal wie möglich zu gestalten, halt nur ohne Verabredungen. Mein Sohn konnte es ja schließlich am aller wenigsten verstehen… Gleichzeitig habe ich alle Eltern und Familien bewundert, die ihre Kinder zu Hause betreuen, Homeschooling machen und gleichzeitig auch noch ihre Arbeit erledigen mussten.
Veränderungen
Ich kann sehr gut verstehen und nachvollziehen, dass viele sehr sehr vorsichtig und sehr besorgt sind. Niemand möchte krank sein oder werden. Ich auch nicht. Auch wir waren in den ersten Monaten sehr beunruhigt und sehr vorsichtig. Ich habe sogar einige Male Türklinken und Handys desinfiziert.
Mittlerweile hat sich meine Haltung und Einstellung etwas verändert. Ich persönlich habe mich irgendwann gegen Angst entschieden und die Nachrichten ausgeschaltet (zumindest solche, die nur Angst und Schrecken verbreiten). Angst ist ein schlechter Berater und ein noch schlechterer Begleiter. Natürlich bin auch ich nur ein Mensch, auch ich habe nach wie vor Sorgen und Ängste. Ich möchte jedoch nicht, dass diese mein Leben bestimmen. Oder meinem Sohn sein Urvertrauen, seine Fröhlichkeit, seine Freiheit nehmen…
Und je länger ich darüber nachgedacht habe, warum diese Veränderung in mir stattgefunden hat, desto mehr wird mir bewusst, dass es auch mit meinen Erfahrungen in der Vergangenheit und insbesondere mit meinem Vater zu tun hat.
Ein kleiner Blick in meine Vergangenheit
Mein Vater ist 2016 an einem zweiten Schlaganfall gestorben. Ich habe ihn krampfend und nicht ansprechbar gefunden. Intuitiv wusste ich sofort, dass es ein Schlaganfall war. In den darauf folgenden vier Tagen waren wir jede Minute – die wir bei ihm sein durften und konnten – bei ihm.
Noch bevor wir mit einem Arzt gesprochen hatten war mir bewusst, dass er diesen Schlaganfall nicht überleben wird. Wir konnten und durften die letzten Stunden bei ihm sein, ihn begleiten und vor allem, uns verabschieden. Abschied nehmen. Für mich war das eine sehr einschneidende, jedoch auch sehr wertvolle Erfahrung, für die ich noch heute sehr dankbar bin.
Was hat das alles mit Corona zu tun?
Zum einen kann ich mir gar nicht vorstellen wie grausam es während des ersten Lockdowns gewesen sein muss, nicht zu seinen kranken und vielleicht auch sterbenden Angehörigen zu dürfen. Sie nicht sehen zu dürfen, sie nicht in den letzten Stunden und Minuten begleiten zu dürfen und vor allem: sich nicht verabschieden zu können und zu dürfen. Geschweige denn wie schlimm es überhaupt für die Kranken und Sterbenden gewesen sein muss. Oder auch einfach für alleinstehende und ältere Personen, die keinen Besuch bekommen durften.
Und zum anderen glaube ich, dass mein Vater sehr viel dafür gegeben hätte seinen Enkelsohn überhaupt kennenlernen zu dürfen. Selbst wenn es auch nur für eine kurze Zeit gewesen wäre. Hätte er die Chance überhaupt bekommen ihn auch noch aufwachsen zu sehen, dann hätte er sie in vollen Zügen ausgekostet. Risiken hin oder her. Kein Corona, kein Virus der Welt hätte ihn davon abhalten können (er hatte einen unglaublichen Dickkopf und immer seine eigene Meinung). Und ich glaube er wusste, null Risiko gibt es nicht.
Ich bin ein Sicherheitsmensch und hätte auch gern für vieles eine Garantie. Doch genau die gibt es nicht. Ich dachte früher auch: er nimmt ja Blutverdünner, ihm wird schon nichts passieren. Was ich damals nicht wusste: das verhindert keinen Schlaganfall. Es war vielleicht naiv an eine „Wunderpille“ zu glauben, vielleicht jedoch auch nur Selbstschutz. Aber es hat mich eines gelehrt: null Risiko gibt es nicht im Leben. Ich glaube wenn die Zeit gekommen ist, dann ist sie gekommen.
Jeder Tag ist ein Geschenk!
Die Zeit auf dieser Erde ist endlich und jeder Tag ein Geschenk. Jeder kann für sich persönlich entscheiden, wie er oder sie mit diesem Geschenk umgehen möchte. Ich persönlich habe entschieden mein Leben zu genießen, dankbar für die vielen Erfahrungen und Erlebnisse zu sein. Dankbar und glücklich zu sein, dass ich einen wundervollen Sohn und einen großartigen Mann habe.
Mein Sohn ist ein Strahlemann, ein Sonnenschein. Er trägt soviel liebe und Sonne im Herzen. Er strahlt selbst völlig fremde Menschen an. Zum Glück gibt es viele Menschen, die sich dann von seiner Fröhlichkeit anstecken lassen. Und für einen Moment entsteht dann etwas heilendes. Das Gefühl, das alles wieder gut und vielleicht auch besser wird!
Dennoch ist mir bewusst, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat…
Auch ich bin für Vorsicht und Rücksichtnahme. Was ich jedoch derzeit häufig vermisse ist Verständnis und Akzeptanz. Und zwar für alle, egal wie alt jemand ist oder welche Meinungen und Ansichten jemand vertritt. Denn eines ist sicher, jeder hat sein eigenes kleines Päckchen zu tragen!
Corona bzw. die Art und Weise wie damit umgegangen wird, spaltet zum Teil nicht nur unser Land und unsere Gesellschaft, sondern auch Freundschaften und sogar Familien. Und genau das macht mich in dieser Zeit traurig.
Was ich mir dann wieder wünsche…
Ich wünsche mir und meinen Kindern eine bunte Welt, eine Welt in der wir frei und ohne Angst leben dürfen, Dinge kritisch hinterfragen dürfen und uns eine eigene Meinung bilden dürfen. Eine Welt in der Kinder geschätzt und wertvoll sind. In der es nicht nur – wie es derzeit häufig zu sein scheint – nur schwarz und weiß gibt. Eine Welt voller Regenbögen. Eine Welt, in der Lösungen gefunden werden, die nicht das soziale und menschliche Leben aufs extremste einschränken und dabei ganze Existenzen zerstören. Eine Welt in der ein Neugeborenes nicht als erstes in das Gesicht seiner Eltern schaut und eine Maske sieht (das ist eine meiner Sorgen: wie wird die Geburt unter Corona???)
Es wird immer gut und böse, schwarz und weiß, richtig und falsch, Leid und Glück auf dieser Erde geben. Und dazwischen existieren viele, viele weitere wunderbare Nuancen.
Daher wünsche ich mir und uns allen eine Welt voller Regenbögen!